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Goðagremi - Der Zorn der Götter
Von Zorn bezwungen, zögerte Þórr nicht,
Er säumt selten, wo er solches vernimmt.
(Völuspá 26)
Die meisten heutigen Heiden gehen davon aus, daß uns die Götter immer freundlich gesonnen sind. Einen "Zorn der Götter" (altnord. "Góðagremi", "Göttergrimm", wobei "Grimm" nicht so harmlos verstanden wurde, wie wir es heute verstehen) können sich viele gar nicht vorstellen. Das ist kein Wunder, denn in manchen neuheidnischen Vereinen werden sogar Werte wie "Gut" und "Böse" als christlich gebrandmarkt und für das germanische Heidentum abgelehnt. Wenn es aber kein "Böse" gibt, dann kann es auch keinen Zorn der Götter über böse Taten geben. Oder man billigt den Göttern nicht zu, daß Sie über unser Schicksal walten (sondern sieht hier allein die Nornen). Die Überlieferungen aber sprechen eine andere Sprache. Wenn das Schicksal tatsächlich von den Göttern bestimmt wird (und von den Nornen nur zugemessen), wie wir traditionellen Heiden glauben, dann ist es besonders gefährlich, die Götter zu erzürnen, da es Sie dazu bewegen könnte, uns ein entsprechend schweres Schicksal zu bestimmen.
Im Mythos geraten Götter wie z. B. Þórr häufiger in Zorn, und in der Regel sind Riesen der Grund. Aber Þórr gerät auch in Zorn, wenn etwa Þjálfi einen der Knochen von Þórs Böcken auf Lokis Anstiftung hin zerbricht. Hier aber läßt sich Þórr noch einmal besänftigen.
Im Mythos von der Sonne kommt allgemein der Zorn der Götter vor, vermutlich – baltische Mythenparallelen legen das nahe – hat Þórr hier auch eine wichtige Rolle. Es heißt in der Gylfaginning 11:
>Ein Mann hieß Mundilföri, er hatte zwei Kinder. Sie waren hold und schön daß er den Sohn Máni (Mond) und die Tochter Sól (Sonne) nannte und vermählte sie einem Manne, der Glenr (Glanz) genannt wurde. Aber die Götter wurden wegen dieser Anmaßung zornig, nahmen die Geschwister und setzten sie an den Himmel, und hießen Sól die Hengste führen, die den Sonnenwagen zogen...<
Hier ist es also ein Mensch, der so schöne Kinder hat, daß er sie in Anmaßung mit den Namen der Gestirne benannte. Unveränderte Götternamen für Menschen zu verwenden, galt als Anmaßung und in den vielen Überlieferungen der heidnischen Zeit kommen daher nur bei Königen zuweilen Götterbeinamen vor.
In den Quellen kommt der Zorn der Götter meist dann vor, wenn sich jemand gegen deren Heiligtümer, Gesetze oder religiösen Verpflichtungen gerichtet hatte. In der Víga-Glúms saga verliert Glumr deswegen seinen Hof, weil er die Heiligkeit des Freyr-Tempels verletzt hatte. Glumr geht davon aus, daß Freys Zorn die Ursache ist. In einer skandinavischen Sage stürzt ein Abhang auf das Haus, in welchem eine Hochzeit gefeiert wurde, zu der Þórr nicht eingeladen wurde. Hier ist wohl an eine Weihezeremonie zu denken, zu der man absichtlich den Gott nicht angerufen hatte.
Im deutschen Volksglauben ist überliefert, daß wenn ein Mensch vom Blitz getroffen wurde dort ein Ziegenbock geschlachtet werden müsse. Offenbar geht man davon aus, daß der Gewittergott zornig geworden wäre und mit diesem Opfer versöhnt werden kann.
Oft hören wir davon, daß die Götter über die Abkehr vom Götterglauben erzürnt sind. Schon in der um 870 verfaßten Vita Anscarii (Kap. 31) findet sich eine derartige Stelle:
>Nachdem darauf Horig der Jüngere den Thron (in Dänemark) bestiegen hatte, begannen einige von den Großen, welche er nun um sich hatte und welche mit dem Herrn Bischof wenig oder gar nicht bekannt geworden waren, ihm zuzureden, er möge die bei ihnen erbaute Kirche niederreißen und die dort im Entstehen begriffene Gemeinde aufheben: denn sie sagten, die Götter zürnten ihnen, und darum hätten sie so große Leiden erduldet, weil sie eines fremden, unbekannten Gottes Dienst hätten bei sich einführen lassen.<
Hier wie in den folgenden Quellen wird nicht nur der Zorn der Götter erwähnt, sondern auch gesagt, wie dieser sich äußerte. In der Fagrskinna Kap. 30 (um 1230) findet sich diese Schilderung:
>Und als sie (die Erichssöhne) ins Land (Norwegen) kamen und alle den Königsnamen angenommen hatten, brachen sie die Tempel nieder und das Opferwesen (...) Und zu ihrerZeit entstand eine große Hungersnot, weil die Heringsfischerei zurückging und der ganze Seefang und das Korn verdarb. Das schrieb das Volk dem Zorn ihrer Götter zu und dem, daß die Könige ihre Opferstätten zerstören ließen<.
Auch in der Laxdœla saga Kap. 40 ist das schlechte Wetter eine Folge des Götterzornes:
>Das Wetter wurde hart im Herbst; es war starker Frost und kalte Zeit. Die Heiden sagten, es sei nicht zu verwundern, daß das Wetter sich schlecht anließe – "das ist die Strafe für die neuen Erfindungen des Königs und diesen neuen Glauben, worüber die Götter zornig geworden sind".<
Ähnlich lautet die saga Ólafs konungs hins helga die einen Teil der Heimskringla (1220) bildet (107):
>Endlich hieß es noch, alles Volk (in Norwegen) sei des Glaubens, es wäre deutlich zu sehen, daß die Götter darüber erzürnt wären, daß die Helgeländer sich dem Christenglauben zugewandt hätten<.
Thors Kampf mit den Riesen (Ölgemälde von Mårten Eskil Winge, 1872)
In der Mitte des 13. Jh. verfaßten Kristni saga Kap. 12 werden die Götter über eine Rede auf dem Þing erzürnt. Die Christen Hjalti und Gizur warben darin für ihren neuen Glauben:
>Nun trugen Hjalti und Gizur ihre Botschaft gut und furchtlos vor (...) Da kam ein Mann gelaufen und meldete, in Ölfus sei ein Erdfeuer ausgekommen und es scheine sich auf den Hof des Goden Þórroddr zuzubewegen. Da riefen die Heiden aus: "Das ist kein Wunder, daß die Götter über solche Reden erzürnen".<
Aber die Götter sind nicht nur zornig wegen der Annahme des Christentums, sondern auch, wenn Menschen sich nicht an die Regeln der Götter halten. Ein Beispiel finden wir in der Droplaugar saga Kap. 4 (12-111):
>Wie sie (die Droplaugssöhne) ein Viertel des Weges hinter sich hatten, überfiel sie ein heftiger Schneesturm, und sie wußten nicht, wo sie waren, bis sie an eine Hauswand kamen, und sie gingen in der Richtung des Sonnenlaufs ums Haus herum; da fanden sie eine Tür, und Helgi merkte, daß es das Opferhaus Bessis war. Sie kehrten von da wieder um und kamen, als zwei Drittel der Nacht vorbei waren, nach Arneidarstad zurück. Aber das Unwetter hielt einen halben Monat an, und das kam den Leuten recht lange vor; aber Bessi sagte, das lange Unwetter komme daher, daß die Droplaugssöhne in der Richtung des Sonnenlaufs um sein Götterhaus herumgegangen wären, und außerdem davon, daß sie den Totschlag an Þordyfil nicht kundgemacht hätten nach den Gesetzen. Das habe die Götter erzürnt<.
Wer sich jetzt wundert, warum das Umgehen im Sonnenlauf (anstatt gegen den Sonnenlauf) die Götter erzürnt hatte, der muß sich klarmachen, daß das Umschreiten eines Hauses, Feldes oder dergleichen im Sonnenlauf ein Inbesitznehmen ist. Das Götterhaus in Besitz zu nehmen ist ein Frevel. Aber genauso zählt, daß der Totschlag nicht dem Gesetz entsprechend kundgemacht worden war. So war es ein feiger Meuchelmord, sonst wäre es ein einfacher Totschlag.
In der Halfs saga (Ende des 13. Jh.) findet sich das Innsteinlied, in dem eine Strophe vom Zorne Óðins handelt:
>Ingrimmig ist Óðinn dir worden,
wenn du Ásmund allzusehr traust;
alle wird er uns verderben,
schützest du dich vor Schaden nicht.<
Hier geht es eindeutig nicht um Religion. In der Ynglinga saga 6 heißt es ja, daß Óðinn seinen Freunden schön, seinen Feinden aber "grimmig" (zornig) erscheine.
In den Skírnisför 33 droht Skírnir der Gerðr den Zorn der Götter an, weil sie sich dem Freyr verweigert, was letztendlich eine Beleidigung des Gottes darstellt:
>Zornig ist dir Óðinn, zornig ist dir der Ásenfürst,
Freyr soll dich hassen,
Frevelüble Maid, und du hast bekommen
Der Götter Zauberzorn<.
Der Zorn der Götter wird auch dadurch heraufbeschworen, daß man Rechte, Eide, Verträge nicht einhält. In derartigen Fällen haben auch Menschen den Zorn der Götter gegen Feinde heraufbeschworen. Der Gedanke dahinter ist der: Weil ein Gegner bestimmte Regeln nicht einhält, deren Nichteinhaltung nach bekanntem Glauben die Götter erzürnt, kann nun darauf eigens verwiesen werden und noch einmal förmlich der Götterzorn erwähnt bzw. angedroht werden.
In der Vatnsdœla saga (Kap. 33) erinnert Jökul an den Götterzorn für den Fall, daß einer der Zweikämpfer nicht zu dem verabredeten Zweikampf käme:
>Wenn aber einer von uns nicht kommt, dann soll man ihm eine Neidstange errichten mit der Verwünschung, daß er eines jeden Mannes Neiding sein soll und nirgends sich aufhalten in der Gesellschaft anständiger Männer, aber der Götter Grimm und eines Friedensbrechers Namen tragen!<
In der Egils saga Skallagrímssonar (Lausarvísa 19) ruft Egil den Zorn der Götter wie einen Fluch gegen seinen Gegner, König Erich von Norwegen, herbei:
>Die Götter mögen den König fortjagen! So sollen ihm die Götter vergelten den Raub meines Gutes! Zornig seien ihm die Götter und Óðinn!<
In Kap. 56 dieser Saga kommt eine ähnliche Stelle vor:
>Jetzt wandte sich Egil um und sagte: "Ich berufe mich auf dich, Arinbjörn, und auf dich, Þórd, und auf alle die Männer, die meine Worte hören können (...) daß ich bei allen Ländereien, die Björn besessen hat, Einspruch gegen ihre Bebauung und Nutznießung erhebe (...) Wenn es aber einer trotzdem tut, dann lege ich darauf Gesetzesbruch des Landrechts und Friedensbruch und Göttergrimm!"<
Der Zorn der Götter zeigt sich dadurch, daß es Mißernten und Hungersnöte gibt, daß Unwetter, Vulkanfeuer kommen oder Erdrutsche entstehen. Darunter leiden alle im Lande, daher war es wichtig, im Interesse der Gemeinschaft dafür zu sorgen, daß niemand den Zorn der Götter heraufbeschwört. Der Zorn der Götter kann sich auch gegen Einzelne richten, die dann Unglück haben werden: Verlust des Hofes, des Reichtums, Vertreibung aus dem Lande, Niederlagen im Kampf, Krankheit und Tod.
Gibt es nun kein Mittel, wie man die Götter besänftigen kann? Jan de Vries geht davon aus, daß ein großes Opfer (Menschenopfer) hierzu notwendig ist. Aber für kleinere Vergehen waren andere Maßnahmen ausreichend.
In der Vatnsdœla saga Kap. 17 wird ein Tempel dadurch entweiht, daß Hrafn ihn mit einem Schwert betrat. Ingimund, der vielleicht auch der dortige Priester war, sagt nun, wie der Zorn der Götter besänftigt werden muß. Allerdings spekulierte er nur auf das Schwert des Hrafn:
>Ingimund ging als erster in den Tempel und tat so, wie wenn er es nicht merkte, daß Hrafn mit dem Schwerte eilig in den Tempel trat. Ingimund wandte sich nach ihm um und sagte: "Es ist nicht Sitte, Waffen in den Tempel zu tragen; du wirst dich dem Zorn der Götter aussetzen, und solches ist gefährlich, wenn nicht Buße geleistet wird ..." Ingimund sagte, die beste Buße wäre, wenn er den Göttern Ehre erwiese, fügte aber hinzu, es gereiche ihm zur Entschuldigung, daß er das Verbrechen aus Versehen begangen habe. "Darum wird die Strafe gar nicht so groß zu sein brauchen, wie es sich sonst geziemte"; er meinte, es wäre am besten, wenn er ihm das Schwert auslieferte, denn auch darüber, sagte er, habe er zu entscheiden, und so den Götterzorn besänftigte<.
In der Vatnsdœla saga reichte es, das Schwert abzugeben; es hätte nun eigentlich unbrauchbar gemacht und z. B. in einem Moor geopfert werden müssen. In der Vita Anscarii (Kap. 18) wird ein Priester (Gode) darüber befragt, wie der Zorn der Götter versöhnt werden könne:
>Als der Unglückliche nun bis auf einen kleinen Sohn alle die Seinigen und seine ganze Habe verloren hatte, da begann er in seinem Elende den Zorn der Götter voll Angst zu erkennen und im Geiste zu ahnen, daß er das alles erdulde, weil er einen Gott beleidigt habe. Deshalb ging er, wie es dort (in Schweden) Sitte war, zu einem Priester, welchen er bat, er möchte durchs Los erfragen, welchen Gott er beleidigt habe, und dann ihm angeben, wie er denselben versöhnen könnte.<
Der Chronist Cosmas von Prag überliefert in seiner um 1125 entstandenen Chronica Boemorum eine Art Zauber, um die Götter zu besänftigen. Er schreibt (I, 11):
>Unterdessen rief eine Frau, sie war eine der Eumeniden ("die Wohlwollenden"), ihrem Stiefsohn, der schon kampfesbereit war, zu: (...) "Damit du aber unverletzt aus dem Gefecht entkommst, schneide dem Gegner, den du bei der ersten Feindberührung tötest, beide Ohren ab, stecke sie in deine Tasche und bekreuzige mit deinem Schwert den Boden unter den Hufen deines Pferdes. Damit löst du den unsichtbaren Bann, durch den der Zorn der Götter euere Pferde lähmt – als ob sie einen sehr ermüdenden Weg zurückgelegt hätten – und tötet.<
Auch die Römer und Celten kannten den Zorn der Götter. So schreibt Tacitus in den Historien (IV 26) über den wenig wasserführenden Rhein, der von den Römern nicht überquert werden konne:
>Bei den Unverständigen galt der Wassermangel schon an sich als eine Vorbedeutung, als ob uns auch die Flüsse, diese alten Schutzwehren unserer Herrschaft, im Stiche ließen. Was im Frieden Zufall, was Naturerscheinun, das hieß Schicksal oder Zorn der Gottheit<.
Über die Gallier schreibt Tacitus in den Historien (IV, 54):
>Doch nichts hatte sie (die Gallier) so sehr als der Brand des Capitols zu dem Glauben gebracht, das Ende des Reiches sei gekommen. Vor Zeiten schon sei von den Galliern die Stadt eingenommen worden, aber da der Sitz des Jupiter noch unverletzt geblieben sei, habe auch das Reich fortbestanden. Jetzt sei durch das verhängnisvolle Feuer ein Zeichen vom Zorne des Himmels gegeben worden, und, so weissagten im eitlen Aberglauben die Druiden, der Besitz der Menschenwelt werde den transalpinischen Völkern vorbedeutet<.
Für uns ist es wichtig zu wissen, daß falsche Handlungen den Zorn der Götter heraufbeschwören können, was dann Ursache für Unglück und Mißgelingen ist. Umgekehrt können wir mit diesem Wissen nun entsprechende Geschehnisse unserer Tage entsprechend bewerten; die betroffenen Menschen müssen also in irgendeiner Weise falsch gehandelt und so den Zorn der Götter selbst verursacht haben. Hier kommen in gleicher Weise große Naturkatastrophen, z. B. der Tsunami, Überschwemmungen, Erdrutsche, Vulkanausbrüche in Betracht, aber genauso persönliche Unbill: Wenn nichts so geht, wie es gehen sollte, wenn man krank wird oder Unglück hat. Es können aber auch schadende Geister die Verursacher sein.
Die Götter sehen unsere Taten und werden zornig, wenn wir Untaten begehen; dessen sollten wir uns immer bewußt sein.
© 2009 Allsherjargode Géza v. Nahodyl Neményi