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Götter sind keine Eidbrecher!

 

Immer wieder muß man aus neuheidnischen Kreisen Darstellungen hören, wonach die Götter Eidbrecher gewesen seien. Bestimmte Leute dieser Szene scheinen solche Vorstellungen geradezu herbeirreden zu wollen, man hat den Eindruck, sie brauchen solche „Neidings-Götter“, um sie als Vorwand für eigene Untaten heranziehen zu können. Oder sind es in Wahrheit Gegner des Heidentums, die ihre zersetzende „Arbeit“ damit beginnen, das Höchste und Heiligste des Heidentums schlechtzumachen, auf daß sich alle an höherer Ethik Interessierten dann schließlich enttäuscht von dieser Form des Heidentums abwenden und in die Arme der „Mutter Kirche“ zurückbegeben können?

Götter sind gut. Das ist eine klare Aussage, die so auf jeden Fall in allen heidnischen Kulturen vorhanden war, auch bei unseren Vorfahren. Es gibt natürlich Entscheidungen der Götter, mit denen der Einzelne nicht einverstanden ist und die er vorschnell und ohne nachzudenken als „böse“ bezeichnet. Zum Beispiel wenn Allvater Wodan einen Menschen abberuft, so daß dieser stirbt. Das ist für die Familie nicht schön, ist aber von höherer Warte aus betrachtet nicht „böse“ sondern notwendig. Wenn ein Schüler das Klassenziel erreicht hat, dann verläßt er die Schule, wenn ein Mensch sein Leben gelebt hat, dann kommt er ins Jenseits, um ggfls. in ein weiteres Leben auf der Erde zu inkarnieren. Das ist unser aller natürliche Entwicklung, die für Pflanzen, Tiere und Menschen, aber auch Steine usw. gilt: Entstehen – Sein – Vergehen – Neuentstehen.

Die Mythen der Eddas sind Offenbarungen der Götter, die von Menschen aufgeschrieben und mündlich weitergegeben wurden. Deswegen kommt indirekt immer ein wenig die „menschliche Sichtweise“ durch. Das müssen wir berücksichtigen, wenn wir an Hand dieser Überlieferungen etwas über die Götter erfahren wollen.

Es gibt nun in den Eddas einzelne Schilderungen, die Neoheiden als Beweise für Eid- oder Wortbrüche der Götter anführen. Grund genug also, dies einmal genauer zu untersuchen.

 

Der Riesenbaumeister

In der Völuspá 25f findet sich die folgende Schilderung eines angeblichen Eidbruchs:

>Da gingen die Reginn zu den Raterstühlen,
Hochheilge Götter hielten Rat,

Wer mit Unheil hätte die Luft erfüllt
Und dem Jötenvolk Óðs Maid gegeben.

Þórr, von Zorn bezwungen, zögerte nicht,
Er bleibt selten sitzen, wo er solches erfährt;
Da schwanden die Eide, Wort und Schwüre,
Alle festen Verträge jüngst trefflich erdacht.<

Óðs Maid ist Freyja, denn Óðr ist Ihr späterer Gemahl. Freyja wurde also den Riesen gegeben, und Þórr soll deswegen nicht gezögert haben. Aber was Þórr eigentlich tat, steht hier nicht: Warf Er Seinen Hammer auf die Riesen, oder sorgte Er auf irgendeine Weise dafür, daß Eide und Verträge „schwanden“? Von Eidbruch steht hier jedenfalls nichts, sondern von einem Schwinden der Eide. Es geht rückblickend offenbar um den Burgwall der Ásen, der ja in Str. 24 erwähnt wird. Mit dieser Stelle allein kommen wir nicht weiter, zum Glück wird genau diese Völuspástelle auch in der Jüngeren Edda (Gylfaginning 42) erwähnt und genauer erläutert:

>42. Es geschah früh bei der ersten Niederlassung der Götter, als sie Miðgarðr erschaffen und Valhöll gebaut hatten, daß ein Baumeister kam und sich erbot, eine Burg zu bauen in drei Halbjahren, die den Göttern zum Schutz und Schirm wäre wider Bergriesen und Hrímþursen, wenn sie gleich über Miðgarðr eindrängen. Aber er bedingte sich das zum Lohn, daß er Freyja haben sollte und dazu Sól und Máni. Da traten die Ásen zusammen und rieten Rat und gingen den Kauf ein mit dem Baumeister, daß er haben sollte was er anspräche, wenn er in einem Winter die Burg fertig brächte; wenn aber am ersten Sommertag noch irgend ein Ding an der Burg unvollendet wäre, so sollte er des Lohnes entraten; auch dürfte er von niemanden bei dem Werke Hilfe empfangen. Als sie ihm diese Bedingung sagten, da verlangte er von ihnen, daß sie ihm erlauben sollten, sich der Hilfe seines Pferdes Svadilfari zu bedienen, und Loki riet dazu, daß ihm dies zugesagt wurde. Da griff er am ersten Wintertag dazu, die Burg zu bauen und führte in der Nacht die Steine mit dem Pferde herbei. Die Ásen dauchte es ein großes Wunder, wie gewältige Felsen das Pferd herbeizog; und doppelt so viel Arbeit verrichtete das Pferd als der Baumeister. Der Kauf aber war mit vielen Zeugen und starken Eiden bekräftigt worden, denn ohne solchen Frieden hätten sich die Jöten bei den Ásen nicht sicher geglaubt, wenn Þórr heimkäme, der damals nach Osten gezogen war, Unholde zu schlagen. Als der Winter zu Ende ging, ward der Bau der Burg sehr beschleunigt, und schon war sie hoch und stark, daß ihr kein Angriff mehr schaden konnte. Und als noch drei Tage blieben bis zum Sommer, war es schon bis zum Burgtor gekommen. Da setzten sich die Götter auf ihre Richterstühle und hielten Rat und einer fragte den andern, wer dazu geraten hätte, Freyja nach Jötunheimr zu vergeben und Luft und Himmel so zu verderben, daß Sól und das Gestirn hinweggenommen und den Jöten gegeben werden sollten. Da kamen sie alle überein, daß der dazu geraten haben werde, der zu allem Übeln rate: Loki, Laufeyjas Sohn, und sagten, er solle eines übeln Todes sein, wenn er nicht Rat fände, den Baumeister um seinen Lohn zu bringen. Und als sie dem Loki zusetzten, ward er bange vor ihnen und schwur Eide, er wolle es so einrichten, daß der Baumeister um seinen Lohn käme, was es ihm auch kosten möchte. Und denselben Abend, als der Baumeister nach Steinen ausfuhr mit seinem Hengste Svadilfari, da lief eine Stute aus dem Wald dem Hengst entgegen und wieherte ihm zu. Und als der Hengst merkte, was Rosses das war, da ward er wild, zerriß die Stricke und lief der Mähre nach, und die Mähre voran zum Walde und der Baumeister dem Hengste nach, ihn zu fangen. Und diese Rosse liefen die ganze Nacht umher, und diese Nacht ward das Werk versäumt und am Tage darauf wurde dann nicht gearbeitet, wie sonst geschehen war. Und als der Meister sah, daß das Werk nicht zu Ende kommen möge, da geriet er in Jötenzorn. Die Ásen aber, die nun für gewiß erkannten, daß es ein Bergriese war, der zu ihnen gekommen war, achteten ihre Eide nicht mehr und riefen zu Þórr, und im Augenblick kam er und hub auch gleich seinen Hammer Mjöllnir und bezahlte mit ihm den Baulohn, nicht mit Sól und dem Gestirn; vielmehr verwehrte er ihm das Bauen auch in Jötunheimr, denn mit dem ersten Steich zerschmetterte er ihm den Hirnschädel in kleine Stücke und sandte ihn hinab gen Niflhel. Loki selbst war als Stute dem Svadilfari begegnet und einige Zeit nachher gebar er ein Füllen, das war grau und hatte acht Füße, und dies ist der Pferde bestes bei Göttern und Menschen.<

Es stimmt, die Götter hatten dem Baumeister Eide geschworen, es wird aber eindeutig gesagt (und zwar da, wo es um die Eide geht), daß Þórr nicht zugegen war. Man muß das germanische Recht kennen, um diese Stellen richtig zu verstehen. Danach gilt ein Eid immer nur im genauen Wortlaut und nur für den, der ihn auch geschworen hat. Wenn man also z. B. schwört, einen Menschen nicht zu erschlagen, dann begeht man keinen Eidbruch, wenn man ihn ersticht – das war ja nach dem Eid nicht verboten. Es muß also sehr genau formuliert werden, man müßte also schwören, diesen Menschen auf keine Weise zu töten, dann wäre man gebunden. Die Ásen konnten dem Baumeister schwören, ihn nicht zu verletzen oder zu töten, der Gott Þórr war durch diesen Eid nicht gebunden, da Er ja gar nicht dabei war. Die anderen Götter konnten nichts im Namen eines abwesenden Gottes schwören, was Ihn auch bindet, das geht nicht. Es waren also nur die anwesenden Ásen eidlich gebunden, Þórr war es nicht, selbst wenn Er von dem Eid gewußt hätte – wovon nicht auszugehen ist – wäre Er nicht gebunden.

In dem Eid war also festgelegt, daß ein „Baumeister“ und sein „Roß“ in bestimmter Zeit einen Burgwall errichten müßten, dafür sollte er Sól, Máni und Freyja erhalten. Wir können wohl davon ausgehen, daß Freyja dabei war und zugestimmt hatte; wäre Sie nicht dabei, dann bedeutete das, daß Sie in eines anderen Gottes Munt (Vormundschaft) stand, z. B. Ihres Vaters Njörðr. Mit Óðr war Sie hier noch nicht vermählt, denn in der Völuspá steht „Óðs Maid“ statt „Óðs Frau“, so daß Sie nicht in der Munt Ihres Gemahles stand. Sól und Máni werden hier eher als untergeordnete Wesen verstanden, deswegen können die Ásen sie dem Baumeister versprechen auch gegen deren Willen. Daß Sól auch einmal von den Riesen geraubt wurde, ist ein anderer Mythos.

Nun stellte sich jedenfalls heraus, daß das „Roß“ kein normales Pferd war, sondern ein Riesenpferd, und der Baumeister war kein normaler Baumeister, sondern ein Bergriese. Er hatte die Götter also getäuscht oder betrogen, denn ein Riese schafft natürlich mehr, als ein menschlicher Baumeister. Der Eid ist deswegen hinfällig, weil eine der ihn abschließenden Parteien den Eid unter einer falschen Identität geleistet hat. Noch heute verliert man einen Gerichtsprozeß, wenn man eine falsche Identität verwendet hat. Die Götter achteten nun ihre Eide nicht mehr und riefen nach Þórr. Sie brachen damit keinen Eid, sondern handelten allgemein entgegen der im Eid vereinbarten Intention. Man kann Ihnen also keinen Eidbruch vorwerfen, aber nun steht Ihr Handeln im Widerspruch zum „Geist“ des Vertrages, bei dem Sie ja absichtlich getäuscht worden waren. Und Loki war vielleicht von Anfang an Komplize dieses Bergriesen und half den Göttern erst, als er enttarnt worden war.

Jedenfalls: Das Ablenken des „Rosses“ des Bergriesen durch eine Stute war kein Eidbruch. Man hätte es in der Eidformulierung genau erwähnen müssen, daß die Götter den Baumeister und sein Roß in keiner Weise ablenken dürften. Davon ist aber nirgends die Rede, und da der Baumeister ein Riese war, war er auch relativ thumb und hätte wohl kaum an solche Möglichkeiten gedacht.

Diese Geschichte lebt übrigens in verschiedenen Volkssagen Skandinaviens und Deutschlands fort, wo es oft der Teufel oder ein Troll ist, der das Bauwerk (meist eine Kirche) in einer bestimmten Zeit vollenden muß und nur, wenn sein Name erraten wird, muß der versprochene Lohn nicht gezahlt werden. Den Namen zu erraten bedeutet, seine Identität (als Riese, Dämon) zu entlarven, was in den Sagen ähnlich wie bei Rumpelstilzchen durch das Aussenden von Spähern erfolgt. In diesen Sagen kommt übrigens nirgends ein Eidbruch vor, so daß wir auch in der Vorlage der Sagen aus der Edda nicht von Eidbruch sprechen können.

Übrigens handelt es sich auch um einen Naturmythos, der Bezug zum Winter ist ja auch im Text noch deutlich, der Burgwall soll vor dem 1. Sommertag fertig werden. Es ist das Eis und der Schnee, die sich über die Erde legen, was die Winterriesen verursachen. Der Riese will die Göttin Sól (Sonne), damit die Wärme die Herrschaft des Winters nicht beenden kann, sowie Freyja als Frühlingsgöttin, damit nichts wächst. Der Mond ist auch eine Wachstumskraft.

 

Abb. Óðinn als Bölverkr und Gilling beim Aufbohren des Felsens, in dem Gunnlöð den Met bewahrt. 17. Jh.

 

Gunnlöð

Eine andere Stelle über einen angeblichen Eidbruch findet sich in den Hávamál 104-110. In der Geschichte von Óðinn und Gunnlöð wird erzählt, wie Óðinn bei Gunnlöð liegt und den Óðroerir-Met mitnimmt. Es heißt dann (108ff):

>Zweifel heg’ ich, ob ich heim wär gekehrt
Aus der Jöten Reich,
Wenn ich Gunnlöð nicht nutzte, die herzige Maid,
Die den Arm um mich schlang.

Die Hrímþursen eilten des andern Tags
Hárs Rat zu hören in Hárs Halle.
Sie fragten nach Bölverkr ob er zu den Bindenden kam
Oder ob er durch Suttungr fiel.

Den Ringeid, glaub’ ich, hat Óðinn geschworen:
Wer traut noch seiner Treue?
Den Suttung beraubt er mit Ränken des Mets
Und ließ Gunnlöð sich grämen.<

Um diese Andeutungen zu verstehen, muß man zweierlei wissen: Erstens spielt diese Geschichte in der Urzeit, als Wodan ein junger Gott war. Es ist ja in den Hávamál Seine Initiation als Runenzauberer erzählt, die üblicherweise mit der Volljährigkeit stattfand. Bei solchen Initiationen erhalten die Burschen in der Regel eine bestimmte Aufgabe, die sie lösen müssen (noch heute bei einigen Naturvölkern üblich), danach erfolgt die Initiation. Óðinn ist zwar ein Gott und bräuchte so eine Initiation nicht zu machen, aber Er ist auch Vorbild für Menschen und macht es deswegen; was von andern verlangt wird, macht Er selbst freiwillig auch. Óðins Aufgabe war, den Met Óðrœrir zu beschaffen, erst danach ward Ihm von Seinem Lehrmeister (Mímir) gestattet, auch einen Trunk von Óðrœrir zu nehmen (Hávamál 140).

Zweitens ist zu beachten, daß der Met Óðrœrir von den Göttern stammte und illegal zu den Riesen kam. Óðinn holt also etwas zurück, was eigentlich Eigentum der Götter ist, von einem „Raub“ kann also hier keine Rede sein. Und Óðinn arbeitete dafür bei Suttungs Bruder; Er wollte Sich den Met also durch harte Arbeit verdienen, erreichte damit aber nichts. Vielmehr versuchte Suttungs Bruder sogar, Ihn zu erstechen.

Óðinn hatte Sich dabei „Bölverkr“ (Bösewirker) genannt, damit die Riesen Ihn nicht als Gott erkennen. Er gelangte zu Gunnlöð, der von Suttung eingesetzten Hüterin des Metes, und verbrachte hier drei Liebesnächte (nach einer Andeutung bei den Skalden erzeugte Óðinn hierbei den Gott der Dichtung, Bragi, siehe hier). Er durfte den Met trinken und flog nun zu den Göttern zurück. Die Götter hatten Ihn bereits erwartet, waren also über Óðins Fahrt und Aufgabe voll unterrichtet und stellten Gefäße auf, in die Óðinn den Met hineinspie. Er durfte ihn also noch nicht herunterschlucken (trinken), das wurde Ihm erst nach Seinem Hängen am Weltbaum gestattet. Er ließ „Gunnlöð sich grämen“ deutet an, daß sie schwanger wurde – anders ist diese Geschichte nicht deutbar, denn ein Gott, der nach drei Liebesnächten kein Kind zeugt, der wäre ein unfruchtbarer Gott, was nicht denkbar wäre. Selbstverständlich hat sich Óðinn Seiner Verantwortung nicht entzogen, denn Er nahm ja Seinen hier gezeugten Sohn Bragi unter die Götter auf.

Und was ist mit dem Eid? Die Hrímþursen fragten, ob es unter den Göttern einen mit dem Namen „Bölverkr“ gäbe – nun, so einen gab es nicht, denn „Bölverkr“ war damals noch kein Beiname Óðins, sondern eine Tarnbezeichnung. Diesen Namen trug also Óðinn nicht und auch kein anderer der Götter, deswegen konnte Óðinn schwören, daß es keinen Gott namens „Bölverkr“ gibt. Wir wissen zwar nicht, was da genau geschworen wurde, aber so, wie ich es schrieb, vermutete es schon früher der Eddaübersetzer Hugo Gering:

>Um den Met zu behalten, schwur Odin den Riesen einen falschen Eid; wahrscheinlich war der Inhalt der Schwurs, daß ein „Bolwerk“ sich nicht unter den Göttern befände<.

Wie gesagt, der Met war eigentlich Met der Götter. Sie hatten bei der Versöhnung von Ásen und Vanen Beeren gekaut und in ein Gefäß gespuckt, daraus hatten Sie den Kvasir (kvas = Beere) geschaffen, der von Zwergen ermordet wurde, zu Met verarbeitet, und von diesen dann an Suttungr gelangte. Es war also moralisch einwandfrei, den Met zurückzuholen und auch der Eid war dem Wortlaut nach kein Meineid.

Im Naturmythos ist der Met das Wasser und der Regen, den Óðinn als Himmels- und Sonnengott aus der Erde holt, um ihn als Vogel (Wolke) herunterregnen zu lassen. Die Riesen aber wollen das so wichtige Naß tief in der Erde verborgen lassen, damit es eben nicht regnen kann und damit auch kein Wachstum erfolgt.

 

Abb. Óðinn als Adler, verfolgt von Suttungr, spuckt den Met in aufgestellte Gefäße. Edda, 17. Jh.

 

Fesselung des Fenriswolfes

Von dieser Geschichte erfahren wir nur aus der Jüngeren Edda (Gylfaginning 34). Es wird da erzählt, wie die Götter erfahren, daß Ihnen von dem Wolf Unheil droht und wie Sie ihm nacheinander Fesseln anlegen, die er bricht. Zuletzt beschaffen Sie die Zauberfessel Gleipnir, die wie ein dünnes Band aussah:

>Der Wolf antwortete: Um dieses Band dünkt es mich so, als wenn ich wenig Ehre damit einlegen möchte, wenn ich auch eine solche Fessel entzweireiße; falls es aber mit List und Betrug gemacht ist, obgleich es so schwach scheint, so kommt es nicht an meine Füße. Da sagten die Ásen, er möge leicht ein dünnes Seidenband zerreißen, da er zuvor die schweren Eisenfesseln zerbrochen habe. Wenn du aber dieses Band nicht zerreißen kannst, so haben die Götter sich nicht vor dir zu fürchten und wir werden dich dann lösen. Der Wolf antwortete: Wenn ihr mich so fest bindet, daß ich mich selbst nicht lösen kann, so spottet ihr meiner, und es wird mir spät werden, Hilfe von euch zu erlangen: darum bin ich nicht gesonnen, mir dieses Band anlegen zu lassen. Ehe ihr mich aber der Feigheit zeiht, so lege einer von euch seine Hand in meinen Mund zum Unterpfand, daß es ohne Falsch hergeht. Da sah ein Áse den andern an, die Gefahr däuchte sie doppelt groß und keiner wollte seine Hand herleihen, bis Týr zuletzt seine Rechte darbot und sie dem Wolfe in den Mund legte. Und da der Wolf sich reckte, da erhärtete das Band, und je mehr er sich anstrengte, desto stärker ward es. Da lachten alle außer Týr, denn er verlor seine Hand.<

Der Wolf vermutet also, daß es mit Zauberei und List zugeht. Deswegen will er als Unterpfand die Hand Týrs. In diesem Augenblick gibt es weder ein gegebenes Wort, noch einen Eid. Der Wolf macht den entscheidenden Fehler, er kann sich nicht vorstellen, daß irgendein Gott bereit ist, für das Wohl der Allgemeinheit seine eigene Hand zu opfern. Bei einem Pfand ist es so, daß das Pfand dem Wert der Gegenleistung entspricht. Wenn man auf einem Stadtfest ein Bier kauft, muß man oft ein oder zwei Euro als Glaspfand geben. Mit diesem Pfandgeschäft ist es nun möglich, daß man das Bierglas behält und auf die Rückerstattung des Pfandes verzichtet (deswegen sollte die Pfandhöhe immer in der Höhe des Zeitwertes des Glases sein), denn der Bierverkäufer kann sich mit dem dann einbehaltenen Pfand ein neues Bierglas kaufen. Ein Pfandgeschäft ist also wie eine Waage, auf der beide Seiten gleichschwer sind. Die Hand Týrs und die Bindung des Wolfes. Der Wolf aber hielt die Hand Týrs für wertvoller, konnte sich nicht vorstellen, daß Týr sie aufgeben würde, deswegen ging er auf den Handel ein. Hier wurde also weder ein falscher Eid geschworen (es wurde gar nicht geschworen), noch der Wolf betrogen (denn er wußte ja von Anfang an, daß die Götter ihn eigentlich gerne binden wollen). Der einzigste Widerspruch besteht hier in dem Satz:

> Wenn du aber dieses Band nicht zerreißen kannst, so haben die Götter sich nicht vor dir zu fürchten und wir werden dich dann lösen.<

Das war aber bevor die Pfandregelung vereinbart wurde. Der Laie mag denken, daß die Götter hier eindeutig gelogen haben, denn Sie erklären, daß Sie das Band lösen würden, wenn der Wolf sich nicht befreien kann. Ich sehe das nicht. Wir wissen nicht, wie Sich die Götter verhalten hätten, wäre es nicht zu der Pfandregelung gekommen und hätte sich der Wolf ohne Pfand binden lassen. Wenn die Überlieferung hier nicht verfälscht ist, haben Sie eindeutig gesagt, dann den Wolf zu lösen. Deswegen nehmen wir an, daß Sie das auch gehalten hätten, denn Götter lügen nicht. Sie hätten dem Wolf die Fessel also abgenommen und der Wolf hätte gelernt, daß die Götter doch stärker sind als er und wäre wohl kleinlaut und ungefährlich geworden. Nachdem aber der Wolf der Zusage der Götter nicht geglaubt hat (wie es manche Neoheiden auch nicht tun), war diese Zusage hinfällig und man suchte nach einer anderen Vereinbarung, nämlich der mit dem Pfand. Damit war die erste Zusage aufgehoben. Deswegen kann auch hier weder von einer Lüge, noch einem Wortbruch die Rede sein.

 

Abb. Óðinn und Týr beim Binden des Fenriswolfes, Týr verliert Seine Hand. Edda, 17. Jh.

 

Im Naturmythos symbolisiert der Wolf die Nacht und den Winter, und zeigt die Zeit, wo der Winter nicht herrscht, sondern durch die Götter (des Lichts und Sommers) bezwungen ist. Deswegen ist es gerade Týr, der den Wolf bindet, denn die warme Jahreshälfte beginnt mit der Frühlingsgleiche, dem Zeitpunkt des ersten Þings im Jahr (Várþing), auf dem besonders die Götter Týr, Þórr und Freyja verehrt wurden – noch heute trägt unser Osterfest den Beinamen der Freyja, Ostara.

Wir sehen an Hand dieser drei Beispiele, daß unsere Götter durchaus keine Eidbrecher sind und daß alle, die das behaupten, sich nicht im germanischen Recht auskennen oder den Göttern absichtlich Neidingstaten andichten, um so die hohe Ethik des Altheidentums für ihre eigene, niedere Gesinnung kompatibel zu machen. Wir sollten solchen Versuchen lautstark widersprechen.
 

© 2013 Allsherjargode Géza von Neményi

 

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